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07.12.2015
"Das Basisjahr wird überbewertet."
e|m|w - Heft 06|2015: Das Interview mit Jens Apelt und Dr. Claude Seywert, Geschäftsführer der Creos Deutschland, führten Artjom Maksimenko und Thorsten Czechanowsky.
Hervorgegangen aus der alten Saar Ferngas betreibt Creos Deutschland heute ein 1.700 km langes Gashochdrucknetz im Saarland und in Rheinland-Pfalz. Das Unternehmen gehört zur Enovos-Gruppe und ist Tochter des Strom- und Gasnetzbetreibers Creos Luxembourg. Mit Kooperationen und der Entwicklung neuer Geschäftsfelder stellt sich Creos auf den prognostizierten Rückgang der Erdgasnachfrage ein. e|m|w hat mit den Geschäftsführern des Saarbrücker Unternehmens über seine Rolle in der „Saarländischen Kooperation“, über reguliertes und nicht reguliertes Geschäft und den Umzug der Firmenzentrale gesprochen.
e|m|w:
Zum Jahreswechsel erhöhen viele Netzbetreiber die Entgelte. Auch Creos Deutschland ist da keine Ausnahme und erhöht um bis zu zwölf Prozent. Vor einem Jahr haben Sie die Netzentgelte um rund elf Prozent gesenkt. Warum diese Sprünge?
Jens Apelt:
Da kommt eine Menge von unterschiedlichen Faktoren zusammen. Wir beziehen unser Gas zu 85 Prozent von Open Grid Europe, OGE. OGE hat die Preise um durchschnittlich zehn Prozent erhöht. Gascade hat seine Preise zwar um 22 Prozent gesenkt, hat aber nur einen 15-prozentigen Anteil des Gesamtbezugs und fällt daher nicht stark ins Gewicht. Was auch eine Rolle spielt, sind höhere Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen. Unsere Investitionen sind ebenfalls ein Aspekt, aber kein entscheidender. Der Festlegungsbeschluss zur Bepreisung von Ein- und Ausspeisekapazitäten, BEATE, spielt ebenfalls eine Rolle wie die Tatsache, dass von den nachgelagerten Netzbetreibern weniger Kapazität bestellt wurde. Außerdem haben wir festgestellt, dass Kunden vom Gaspool- ins NCGMarktgebiet gewechselt sind.
e|m|w:
Herr Apelt, Sie haben sich bereits zu BEATE, kritisch geäußert. Wie ist Ihre Meinung heute?
Jens Apelt:
Habe ich das? Es war überhaupt nicht kritisch gemeint. Ich finde es grundsätzlich sinnvoll, wenn Netzelemente – das können Speicher oder unterbrechbare Kapazitäten sein – Rabatte eingeräumt bekommen, wenn sie sich netzdienlich verhalten. An unserem Netz hängt der Speicher in Frankenthal. Aus der Perspektive der Versorgungssicherheit ist er für uns sehr wichtig. Wir haben zwar mehrere Übernahmepunkte zu vorgelagerten Netzen, doch im kalten Februar 2012 waren wir sehr froh, dass der Speicher Frankenthal an unser Netz angeschlossen ist. Aus diesem Grund ist es uns wichtig, dass Speicher im Geld bleiben und nicht schließen. Wenn die Rabatte dazu führen, dass in den Erhalt der Speicher investiert wird, dann begrüßen wir das.
e|m|w:
Sind die Stimmen des Marktes bei der BEATE-Konsultation gehört worden?
Jens Apelt:
Im Großen und Ganzen ja. Sehen Sie, wir sind hier als zwischengelagerter Netzbetreiber in einer besonderen Situation. Wenn bei uns jemand den Speicher bucht, dann müsste er eigentlich viermal buchen: Zunächst Entry-Kapazitäten im vorgelagerten Netz und dann Speicher-Entry und Speicher-Exit sowie Exit in unserem Netz. Diese besondere Situation wurde bei BEATE berücksichtigt.
e|m|w:
Creos Deutschland betreibt nicht nur das regulierte Geschäft sondern auch das nicht-regulierte. Vor einiger Zeit hat Ihr Unternehmen dieses Geschäftsfeld ausgelagert. Warum und was genau bieten Sie an?
Jens Apelt:
Es fing als klassisches Drittgeschäft an. Damit sind vor allem die Wartung der Gasdruckregel- und -messanlagen an den Übergabestationen für die nachgelagerten Netzbetreiber gemeint. Es ging jedoch insofern weiter, dass wir daraus ein wirkliches Drittgeschäft generiert haben beispielsweise für die Industriekunden. Wir machen die Betriebsführung für Stickstoff- und Sauerstoffnetze im industriellen Bereich, übernehmen die Zielnetzplanung von Gasnetzen, Planungen von Gasdruckregelanlagen oder ganzen Trassen, beispielsweise auch Anschlussleitungen für Kraftwerke. Neu hinzugekommen ist das Energiedatenmanagement für die nachgelagerten Netzbetreiber sowie Beratungen in den Bereichen Regulierungswirtschaft und Asset-Management. Vor kurzem haben wir hier zwei Aufträge zur Zielnetzplanung erhalten. Ein Stadtwerk unterstützen wir zudem in Fragen des Regulierungsmanagements bis hin zu der Netzentgeltkalkulation, auch im Strombereich.
e|m|w:
Ist es bereits mehr als ein Nischengeschäft oder wird es das noch?
Claude Seywert:
Im Vergleich mit dem regulierten Geschäft ist der Umsatz hier noch bescheiden. Die Geschäftssparte wächst aber stetig und das schneller, als wir ursprünglich geplant haben.
Jens Apelt:
Zurzeit haben wir um die 40 Kunden, das Dienstleistungsangebot ist ausschließlich regional. Die Tatsache, dass bei vielen Versorgern zurzeit Personal abgebaut wird, hilft unserem Geschäft. Im Prinzip sind wir der Bundesnetzagentur für die stringente Kostenprüfung dankbar, da es viele Diskussionen über die Verwendung der Erlöse aus dem Drittgeschäft gab. Dies hat letztendlich dazu geführt, dass wir uns entschieden haben, das Drittgeschäft komplett von dem regulatorischen Geschäft zu trennen, mit einer eigenen Gesellschaft. Es hat auch innerhalb des Unternehmens eine Bewusstseinsveränderung stattgefunden. Wir haben festgestellt, dass wir hier nicht nur auf die Kostenbremse steigen müssen, sondern tatsächlich von unserer Expertise wirtschaftlich profitieren können.
e|m|w:
Die Anreizregulierungsverordnung wird zurzeit reformiert. Welche Strategie empfehlen Sie Ihren Kunden im Basisjahr?
Jens Apelt:
Es gibt quasi kein Basisjahr, weil die Bundesnetzagentur nicht nur die Basisjahre beleuchtet, sondern auch die Vorjahre und dabei relativ flexibel ist. Bei uns wurde sogar sechs Jahre in die Vergangenheit geschaut. Die Besonderheiten des Basisjahres werden somit von der Regulierung nicht berücksichtig. Deswegen ist meine Strategieempfehlung für die Kunden einfach: Eine klare und auskömmliche Kostenstruktur schaffen. Die Kostenplanung soll weder nach oben noch nach unten ausschlagen.
Claude Seywert:
Ich denke auch, dass die Bedeutung des Basisjahres oft überbewertet wird. Mein Ratschlag daher ist, sich nicht nur auf das Basisjahr zu fokussieren, sondern eine langfristige Strategie zu entwerfen und sie auch durchzuziehen.
e|m|w:
Stichwort Zielnetzplanung?
Jens Apelt:
Danke für das Stichwort. Letztendlich verdienen wir unser Geld mit dem Netz. Wenn Sie in Gas- oder Stromnetze investieren, müssen Sie die Lebensdauer von diesen Netzen berücksichtigen. Im Idealfall bedeutet dies, dass das Investitionsobjekt auch noch in 40 bis 50 Jahren notwendig ist. Eine Planung über einen so langen Zeitraum ist eigentlich nicht möglich. Um aber eine einigermaßen verlässliche Aussage zu erhalten, ist eine Zielnetzplanung absolute Voraussetzung.
Claude Seywert:
Auch in Bezug auf die Regulierung und die Anerkennung von Investitionsmaßnahmen ist eine stringente Zielnetzplanung sehr wichtig. Das hilft, die Investitionen irgendwann in Erträge umzuwandeln.
e|m|w:
Wie gestaltet sich denn Ihre langfristige Zielnetzplanung?
Jens Apelt:
Im Konzept der Bundesregierung spielt Gas im Jahr 2050 keine große Rolle mehr. Deswegen haben wir langfristige Ausbaupläne konzipiert, daran haben wir einige Jahre gearbeitet. In den Planungen haben wir 100 Kilometer weniger Leitungsnetz. Wir ändern die Netzstruktur und stellen auch die Druckstufen um. Zudem haben wir die Anzahl der Übergabestationen auf ein Minimum reduziert, können dabei aber eine maximale Versorgungssicherheit weiterhin gewährleisten.
e|m|w:
Neben den Ausbauplänen stehen bei Ihnen auch die Umzugspläne an. Warum zieht Creos Deutschland von Saarbrücken nach Homburg um?
Claude Seywert:
Hier in Saarbrücken sind wir nur Mieter. Zurzeit hat Creos Deutschland vier Standorte: in Homburg, Völklingen, Frankenthal und Saarbrücken. Diese Anzahl wollen wir von vier auf drei reduzieren. Die Betriebsstellen waren bisher relativ autark organisiert, jeweils mit eigenem Sekretariat und Ingenieuren. Diese Querschnittsfunktionen würden wir dann in Homburg bündeln. Zurzeit läuft eine entsprechende Ausschreibung, der Umzug ist Ende nächsten Jahres geplant.
e|m|w:
Der Gasverbrauch im Wärmesektor geht bekanntlich zurück. Wie sieht Ihre Lastprognose für die nächsten Jahre aus?
Jens Apelt:
Wir haben eine Lastprognose speziell für unser Netz erstellt, und die Tendenz ist ganz klar rückläufig. Ich gehe nicht davon aus, dass der Gasbedarf in den nächsten Jahren steigt, entgegen einiger Prognosen in der Branche.
e|m|w:
Auf welche Daten greifen Sie bei der Erstellung der Prognose zurück?
Jens Apelt:
Das Hauptkriterium sind die Bestellungen der nachgelagerten Netzbetreiber. Wir verfügen hier über Daten aus den vergangenen 80 Jahren. Die Bestellmengen sind seit den letzten Jahren temperaturbereinigt relativ stabil. Auch wenn beispielsweise in Saarbrücken derzeit noch Neubaugebiete an das Gasnetz angeschlossen werden. Durch Effizienzsteigerungen auf der anderen Seite sinkt der Gasbedarf einzelner Verbraucher. Früher hat ein Einfamilienhaus 20.000 kWh im Jahr verbraucht. Heute geht der Trend hin zu 3.000 kWh oder weniger. Wie sich der Bedarf der Industriekunden entwickelt, ist schwer vorauszusehen. All diese Daten fließen in unsere Überlegungen mit ein.
e|m|w:
Kommen für Sie neue Geschäftsfelder infrage, um den rückläufigen Gasverbrauch auf dem Wärmemarkt zu kompensieren?
Jens Apelt:
Mit Erdgasmobilität oder BHKW werden wir die Entwicklungen auf dem Wärmemarkt nicht vollständig kompensieren können.
Claude Seywert:
Die Erdgasmobilität ist schon lange auf dem Markt, konnte sich aber nicht entscheidend durchsetzen. Jetzt setzen die meisten Autohersteller auf die Elektromobile. Die Chance für Erdgas im Transportsektor sehe ich eher beim Schiffsverkehr oder im Lastwagenbereich, wo das verflüssigte Erdgas, LNG, an Bedeutung gewinnen könnte.
e|m|w:
Hat LNG eine Chance in Europa?
Claude Seywert:
Es wird ja bereits in Europa eingespeist. Ob sich LNG auch preislich in Europa durchsetzt, hängt stark von dem Weltmarkt ab. Ich glaube aber schon, dass LNG eine größere Rolle spielen wird. Für den Netzbetrieb ist es momentan kein relevanter Faktor.
e|m|w:
Herr Seywert, die Muttergesellschaft von Creos in Luxemburg hat mit Fluxys die Zusammenlegung des belgischen und des luxemburgischen Gasmarktes vollzogen. Wie lief es?
Claude Seywert:
In der Tat gibt es seit dem 1. Oktober keinen luxemburgischen und belgischen Markt, sondern nur einen gemeinsamen Gasmarkt, den Belux-Markt. Schon heute können Kunden ihr Gas in Belgien oder in Luxemburg bestellen, der Markt ist für sie einheitlich. Es gibt ein gemeinsames Portfolio-Balancing, dafür haben Creos und Fluxys einen Balancing-Operator gegründet. Noch kommt er in Belgien nicht zum Einsatz, weil es noch eine regulatorische Hürde gibt – wir sind aber zuversichtlich, dass auch diese noch in den nächsten Monaten gelöst wird. Es gab technische und regulatorische Probleme. Die Tarifmethodologie musste angepasst werden. Vor der Einführung des integrierten Markts gab es beispielsweise eine physikalische Buchung an der belgisch-luxemburgischen Grenze. Das hat sowohl Fluxys als auch Creos Gewinne eingebracht. Jetzt müssen diese Ausfälle kompensiert werden. Als Lösung haben wir die Kosten teilweise auf die Exit-Kosten umgelegt. Mit dem Projekt haben wir aufgezeigt, wo die Knackpunkte einer Marktintegration liegen könnten.
e|m|w:
Inwiefern lassen sich die Erfahrungen auf die Pläne eines gemeinsamen europäischen Gasmarktes übertragen?
Claude Seywert:
Als Creos-Gruppe sind wir stolz, dass wir unsere Pläne mit Fluxys innerhalb von zwei Jahren umgesetzt haben. Natürlich gibt es Erfahrungen und Ansätze, die man auch beim gemeinsamen europäischen Markt nutzen könnte. Allerdings waren an der Integration lediglich zwei Netzbetreiber beteiligt, selbst das war kompliziert genug. Da waren auch die Regulatoren aktiv. Sie haben das ganze Regelwerk angepasst und vereinheitlicht. Angesichts dieser Erfahrungen sehe ich die europäische Energieunion noch nicht morgen kommen. Der von Fluxys und Creos geschaffene Balancing-Operator ist aber so aufgebaut, dass auch weitere Netzbetreiber sich daran beteiligen können. Es ist wichtig, die Gasmarktgebiete regional zu integrieren. Das kann ein Modell für die Zukunft sein.
e|m|w:
Auf regionale Integration setzt Creos auch im Saarland. 2011 haben Creos, sowie die drei Saarbrücker Energieunternehmen VSE, Energis und die Stadtwerke Saarbrücken die „Saarländische Kooperation“ gegründet. Wie fällt Ihr Urteil dort aus?
Jens Apelt:
Die Kooperation entstand zunächst durch die Übernahme von zwanzig Prozent der Anteile an den Stadtwerken Saarbrücken durch eine Bietergemeinschaft bestehend aus der damaligen Saar Ferngas und VSE. In die Preiskalkulationen flossen auch Synergien ein, die einen Betrag in Millionenhöhe garantierten. Der nächste Meilenstein war die Unterzeichnung eines Kooperationsvertrags mit einer klaren Aufgaben- und Zuständigkeitsteilung. Creos hat beispielsweise die Leitung der gemeinsamen Netzdokumentation übernommen. Alle vier beteiligten Unternehmen hatten ursprünglich ein eigenes Netzdokumentationssystem. Nun verfügen alle vier Mandanten über ein gemeinsames System. Jedoch ist jeder Kooperationspartner weiterhin Herr seiner Daten, die in seinem Eigentum stehen. Inzwischen sind die Mitarbeiter auf der operativen Ebene Kollegen geworden. Alle Vereinbarungen sind eingehalten worden, die wirtschaftlichen Ziele wurden erfüllt. Das Projekt kann man durchaus als ein Leuchtturmprojekt für die Region bezeichnen. In der Kooperation sind Betreiber von Netzen auf allen Ebenen vereinigt. Das funktioniert.
e|m|w:
Gibt es weitere Anfragen für eine Kooperation?
Jens Apelt:
Ja, sowohl für die Netzleitstelle als auch für die Kooperation an sich. Bei einer Grundsatzentscheidung hinsichtlich der Netzleitstelle tun sich viele schwer. Für viele Netzbetreiber ist die Leitstelle das Herzstück eines Netzes. Die Betreiber müssen sich entscheiden: steige ich bei der Kooperation ein oder investiere ich in eine eigene Netzleitstelle. Ich sage, das Herzstück des Netzgeschäfts sind die Assets. Damit verdiene ich Geld, das muss betrieben und gemanagt werden. Die Netzleitstelle ist lediglich eine Dienstleistung für das Netz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Umkreis von 100 Kilometern ein Stadtwerk geben wird, das in den nächsten Jahren entscheidet, eine eigene Netzleitstelle zu bauen oder von Grund auf zu erneuern.
e|m|w:
Wie geht es mit der Kooperation weiter?
Jens Apelt:
Die Implementierung des gemeinsamen Netzleitsystems läuft zurzeit. Ende 2016, spätestens 2017 wollen wir es in Betrieb nehmen. Die große Herausforderung werden das Managementsystem zur Informationssicherheit sowie die Einführung entsprechender Zertifikate auf Basis des IT-Sicherheitsgesetzes sein. Da geht es nicht nur um IT und Firewalls, sondern auch um die Frage, wie man eine Trafostation oder Gasdruckregelanlage vor Übergriffen schützt, die das Netz destabilisieren könnten. In einer Netzleitstelle gibt es viele Schnittmengen. Es ist unser Anliegen, die ISO-Norm homogen und bei allen vier Unternehmen gleichermaßen anzuwenden. Und wenn wir das alles umgesetzt haben, können wir sicherlich von einem weiteren Meilenstein reden.
e|m|w:
Herr Apelt, Herr Seywert, vielen Dank für das Gespräch!